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Einsamkeit begegnen mit Digitalisierung

Einsamkeit begegnen mit Digitalisierung

Professor Manfred Spitzer, Psychiater und Psychologe, beschäftigt sich an der Uniklinik Ulm mit dem Thema Einsamkeit (vgl. Landesschau Baden-Württemberg). Herr Spitzer präsentiert die Einsamkeit als Krankheit, welches wissenschaftlich kontrovers diskutiert wird. Denn Krankheiten sind gekennzeichnet durch ein körperliches Leiden und können über Organschäden nachgewiesen werden. Auch ein psychisches Leiden als Krankheit kann über auffallende Verhaltensweisen, Empfindungen oder Gedankenabläufe diagnostiziert werden. Daher ist Einsamkeit, nach Dr. Oliver Huxold, der im Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA) forscht, eher zu den subjektiven Gefühlen zu zählen (vgl. Böger/Wetzel/Huxold 2016: 287; Birkelbach 2017: 1). Dieses Gefühl entsteht, wenn Menschen darunter leiden, dass wenig bis keine Beziehungsnetzwerke zur Verfügung stehen und ein bestehendes Bedürfnis nach Austausch und Verbundenheit somit keine Befriedigung findet. Entgegen der Annahme, dass ältere Menschen einsamer und alleine sind, heben Huxold et al. (2016: 287) hervor, dass der Anteil an einsamen Personen bei befragten über 71-Jährigen gesunken ist. Zudem besteht keine Gefahr an Vereinsamung, wenn nur ein kleines Netzwerk vorhanden ist. Beziehungen werden von den befragten älteren Menschen als enger und qualitativ hochwertiger beschrieben. Wenn allerdings durch Veränderungen wie durch Tod eines Ehepartners, Erkrankungen und Pflegebedürftigkeit sowie Austritt aus dem Berufsleben gewohnte Strukturen sich auflösen und soziale Netzwerke schrumpfen, kann das Gefühl der Einsamkeit eintreten.  Auch räumliche Distanzen zwischen familialen Netzwerken, die auch nicht überwunden werden können, hemmen soziale Beziehungen. Ein dadurch dauerhaft bestehendes Gefühl der Einsamkeit wird häufig von Begleiterscheinungen wie Angstattacken und Depressionen verstärkt. Folgeerscheinungen können dann Bluthochdruck oder chronische Erkrankungen sein und somit ein erhöhtes Sterberisiko nach sich ziehen (vgl. Birkelbach 2017: 2).

Um Einsamkeit ein Stück entgegenzuwirken, stellt der Kommunale Seniorenservice(KSH) der Stadt Hannover, als eine von wenigen Städten, unterstützende Leistungen in unterschiedlichen Lebenslagen zur Verfügung. In der Stadt wird Menschen ab 60 Jahren, ca. 131.000 Seniore*innen, in unterschiedlichen Lebenslagen unterstützend Hilfe angeboten (vgl. Landeshauptstadt Hannover 2018). Zusätzlich sorgt der KSH mit seinen zahlreichen Freizeitangeboten für Möglichkeiten, sich mit Themen rund ums Alter auseinanderzusetzen. So werden auch Vorträge und Schulungen eingesetzt, um über Einsamkeit aufzuklären, sowie Möglichkeiten einer Kontaktaufnahme aufgezeigt.

Ein Kernbereich im KSH bilden die Begleitenden Dienste. Mit vielen ehrenamtlichen Begleiter*innen werden Senior*innen, die aufgrund verschiedener Beeinträchtigungen die Häuslichkeit nur eingeschränkt verlassen können, unterstützt. Neben Besuchen, Gesprächen und Hilfestellungen bei Anträgen, Arztbesuchen oder kleinen handwerklichen Tätigkeiten besteht seit 2017 Hilfe darin, dass Ehrenamtliche bei Problemen technischer Art Unterstützung erhalten.  

Inwieweit kann digitale Kommunikation das Gefühl von Einsamkeit beeinflussen?

Dienlin et al. (2017) zeigen in einer Studie, dass digitale Kommunikation analoge Gespräche anregen kann und dass soziale Netzwerke ein Motor für Kommunikation sind. Personen, die zahlreich über soziale Netzwerke kommunizieren, führen auch viele direkte persönliche Gespräche. Zudem sind diese Personen tendenziell mit ihren Leben zufriedener. Es zeigte sich sogar, dass die Kommunikation über soziale Netzwerke tendenziell die direkte persönliche Kommunikation stärkt und das Wohlbefinden steigert (vgl. Dienlin et al. 2017). Zudem bestätigt eine Untersuchung aus den Niederlanden, dass das Gefühl von Einsamkeit durch die sozialen Funktionen des Internets verringert und das Selbstvertrauen der Menschen gestärkt werden kann (vgl. Fokkema & Knipscheer 2007).

Über die Digitalisierung ist eine Kontaktaufnahme zu anderen Menschen komfortabler und schneller geworden. Zuvor war Kontakt nur telefonisch oder per Brief möglich, wenn man sich nicht persönlich getroffen hat. Ein Emoticon, ein Foto liken oder eine Kurznachricht verschicken bilden neue Möglichkeiten, mit der Familie, den Freunden oder den Bekannten   auch über längere Distanzen in Kontakt zu treten und zu bleiben, wenn ein Besuch nicht mehr möglich ist (vgl. Dienlin et al. 2017). Das Telefonat oder die Whats App kann zwar eine direkte Kommunikation vor Ort nicht ersetzen, aber dennoch Einsamkeit ein Stück entgegenwirken, indem digitaler Kontakt Ablenkung bietet und das Gefühl, wenn es mit anderen geteilt wird, aufgefangen werden kann. Soziale Netzwerke können wie bereits beschrieben ein Motor für Kommunikation sein und immobilen Menschen einen Weg ermöglichen, trotz Angebundenheit an die Häuslichkeit, mit Anderen Kontakt zu haben.    Auch interessengeleitete Social-Mediagruppen, digitale Nachbarschaftsplattformen wie z. B. nebenan.de oder Kontaktportale für Menschen ab 50 Jahren wie lebensfreunde.de bieten immer mehr Austauschmöglichkeiten mit Gleichgesinnten. Trotz aller Angebote und technischer Möglichkeiten benötigen ältere Menschen ebenso eine intrinsische Motivation, sich mit den modernen Funktionen auseinanderzusetzen sowie den Wunsch nach Kontakt zu anderen Menschen.


Doch wie sieht es bei Menschen in der dritten Lebensphase mit Einsamkeit und Digitalem aus?

Social Media, Instant Messenger und digitale Plattformen sind nur nutzbar, wenn entsprechende Kompetenzen bereits vorhanden sind. Untersuchungen wie die DIVSI-Studie zeigen, dass knapp 50 Prozent der über 60-Jährigen Offliner sind. Allerdings steigt der Anteil der Offliner mit dem Alter an (vgl. DIVSI 2016). In der Altersgruppe der 60- bis 64-Jährigen sind nur 13 Prozent nicht online, in der Gruppe der 70- bis 74-Jährigen 61 Prozent, und bei den über 80-Jährigen nutzen 89 Prozent nie das Internet (vgl. DIVSI 2016: 15). Damit ist fraglich, ob Menschen in der dritten und vierten Lebenshälfte von den digitalen Möglichkeiten zur Prävention von Einsamkeit profitieren. Denn wie bereits oben beschrieben steigt mit höheren Alter tendenziell das Risiko für Einsamkeit, insbesondere bei Tod eines Ehepartners, Erkrankungen und Pflegebedürftigkeit sowie großer Wohndistanz zur Familie.

Genau an diesem Punkt setzt das mehrfach prämierte Projekt “Medien- und Techniklotsen Hannover”, kurz MuTH, an. Die innovativen Ansätze des Projektes MuTH sind bereits von Wettbewerben wie „Google Impact Challenge 2016“, dem „Goldenen Internetpreis 2017“  sowie Leuchtturmprojekte “Digitalisierung und Bildung für ältere Menschen 2018” ausgezeichnet worden.

In Hannover sind 28 ehrenamtliche Medien- und Techniklots*innen im Alter zwischen 30 und 76 Jahren aktiv. Sie unterstützen Menschen über 60 Jahre bei der Aneignung von neuen Medien sowie bei der Einrichtung und Bedienung von E-Mail - Programmen, Instant-Messenger, Social Media, Videotelefonie oder digitalen Nachbarschaftsplattformen. Jedes Jahr helfen sie über 1.900 Klient*innen im Umgang mit den neuen Medien. Durch geduldige und verständliche Erklärungen unterstützen die Medien- und Techniklots*innen beim Öffnen des digitalen Fensters. Die Klienten geben die Lerngeschwindigkeit vor und bedienen die Geräte selbst in ihrer gewohnten Umgebung - zu Hause, in regelmäßigen Sprechstunden im Stadtbezirk oder im Alten- und Pflegeheim. Ziel ist es, in einem zunehmend technisierten Alltag neue Möglichkeiten einer Teilhabe am öffentlichen Leben zu erschließen und eine Kontaktaufnahme mit Familie, Freunden, Nachbarn oder Anderen zu ermöglichen. Wie Dienlin et. al beschreiben, können genau diese digitalen Funktionen das Gefühl von Einsamkeit positiv beeinflussen.  Neben den technischen Einsätzen der Medien- und Techniklots*innen in der Häuslichkeit von Seniore*innen oder Einrichtungen finden Gespräche über Alltägliches sowie Zukunftsgedanken statt. Daher werden auftragsbezogene Dienste wie die Medien- und Techniklots*innen von Senior*innen sehr gut angenommen, da reale Gespräche, über das Medium der digitalen Welt, stattfinden.

Verfasst von Melanie Siemroth und Patrick Ney

Literaturverzeichnis

Böger, Anne/Wetzel,Martin/Huxold, Oliver (2016): Allein unter vielen oder zusammen ausgeschlossen: Einsamkeit und wahrgenommene soziale Exklusion in der zweiten Lebenshälfte. In: Katharina Mahne, Julia K. Wolff, Julia Simonson & Clemens Tesch-Römer (Hrsg.):Altern im Wandel: Zwei Jahrzehnte Deutscher Alterssurvey (DEAS), https://www.dza.de/fileadmin/dza/pdf/DEAS2014_Langfassung.pdf, letzter Zugriff: 16.08.2018.
Birkelbach, Raphaela (2017): https://www.senioren-ratgeber.de/print/article/544997, letzter Zugriff: 18.09.2018.
Dienlin, Tobias; Masur K., Philipp; Trepte, Sabine (2017): https://academic.oup.com/jcmc/article/22/2/71/4161796, letzter Zugriff: 18.09.2018.
Fokkema, Tinekke; Knipscheer, Kros (2007) Escape loneliness by going digital: A quantitative and qualitative evaluation of a Dutch experiment in using ECT to overcome loneliness among older adults. Aging & Mental Health 11:5, pages 496-504.
Landesschau Baden-Württemberg (2018): https://www.youtube.com/watch?v=Z68Dwr2JHic, letzter Zugriff: 18.09.2018.
Schmölz, Johanna, Otternberg, Meike; Graudenz, Dirk: https://www.divsi.de/wp-content/uploads/2016/10/DIVSI-UE60-Studie.pdf, letzter Zugriff: 18.09.2018.
Stadt Hannover (2018): https://www.hannover.de/Leben-in-der-Region-Hannover/Verwaltungen-Kommunen/Die-Verwaltung-der-Landeshauptstadt-Hannover/Dezernate-und-Fachbereiche-der-LHH/Sozial-und-Sportdezernat/Fachbereich-Senioren, letzter Zugriff: 18.09.2018.
Simmank, Jakob (2018): https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2018-04/psychologie-einsamkeit-manfred-spitzer-gefuehl-krankheit-alleinsein-isolation/komplettansicht?print, letzter Zugriff: 18.09.2018.

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